- Veröffentlichungsjahr: 2016
- Entwicklerstudio: Campo Santo
- Plattform: Windows, Linux, macOS, Nintendo Switch, Play Station, Xbox
- Altersfreigabe: USK 12
- Geeignet für: Ab Klasse 10
- Fachbezug: Deutsch, Englisch (Literaturunterricht), Ethik
In der US-amerikanischen Wildnis des Shoshone National Forests im eigenen Revier als Feuerwächter arbeiten und dabei jede Menge Zeit für sich selbst und die eigenen Gedanken haben – das klingt wunderbar, fast malerisch… nicht wahr?
Für den verheirateten Henry stellt sich dieser Job jedoch ganz anders als wunderbar heraus, als er dort im Jahr 1989 seinen Dienst antritt. Dabei hätte er sich die Zeit zum Nachdenken so sehr gewünscht, nachdem seine Frau erste Anzeichen einer Alzheimer-Erkrankung zeigte und er daraufhin überfordert mit der Situation die Stelle annahm. Lediglich durch seine fernab stationierte Vorgesetzte Delilah angeleitet, muss Henry nicht nur den Wald auf Brandherde überwachen, sondern wird bald auch Zeuge von Sabotageakten und weiteren Vorkommnissen, die weder er noch Delilah sich erklären können. Gemeinsam versuchen Delilah und Henry, den mysteriösen Ereignissen im Wald auf den Grund zu gehen.
Spielende schlüpfen in Firewatch in die Rolle von Henry und müssen sich mithilfe von Karte, Kompass und Kletterseilen in seinem Zuständigkeitsgebiet orientieren, um den aufkommenden Problemen auf den Grund zu gehen. Zusätzlich führen sie dabei immer wieder Dialoge mit Delilah per Funkgerät, um die herum sich eine packende und Gänsehaut verursachende Geschichte entwickelt.
Firewatch erzählt eine emotionale und komplexe Geschichte und eignet sich daher für den Literaturunterricht der Sekundarstufe II. Bei der Rezeption regt das Spiel Prozesse literarischen Lernens an, insbesondere in den Bereichen des Handlungs- und Figurenverstehens.
Kompetenzen des Handlungsverstehens können im Spielverlauf ausgebaut werden, da sie unerlässlich dafür sind, die Geschichte des Spiels nachzuvollziehen und sie voranzubringen. So wird etwa zu Spielbeginn auf Textebene vermittelt, wie Henry seine Frau Julia kennenlernte. Immer wieder wechselt das Spiel dabei zu interaktiven Spielszenen, in denen Spieler*innen Henry steuern, als er zu seiner neuen Tätigkeit aufbricht und die an Alzheimer erkrankte Julia vorübergehend bei ihrer Familie zurücklässt. Beide Ebenen müssen als getrennte narrative Strukturen identifiziert und miteinander zu einem kohärenten Modell der Handlung verarbeitet werden.
Der Großteil der Spielhandlung wird allein durch die audiovisuell-interaktiv rezipierbaren Ereignisse in der virtuellen Umgebung und die Dialoge zwischen Henry und seiner Vorgesetzten Delilah vermittelt, wobei stets ausschließlich ihre Stimme aus Henrys Funkgerät zu hören ist. Die Handlungen und Entscheidungen der Spieler*innen in der Rolle Henrys, angefangen bereits bei den Laufwegen, die sie im Spielverlauf wählen, machen insofern direkt die Geschichte des Spiels aus, ohne dass eine Erzählinstanz sie explizit benennt und so als deren bestimmende Elemente kennzeichnet.
Die besondere Erzählweise ermöglicht weiterhin tiefgehende Prozesse des Figurenverstehens: Insbesondere die Perspektive des Protagonisten Henry und seine Beziehung zu Delilah lernen die Spieler*innen im Spielverlauf ausführlich kennen und können sich damit detailliert auseinandersetzen.
Henrys Geschichte wird in der First-Person-Perspektive dargestellt, sodass Spieler*innen die Ereignisse „durch seine Augen“ rezipieren. Somit bietet Firewatch ein immersives Erleben der Geschichte, wodurch besondere Interpretationsansätze hinsichtlich der Figurengestaltung erschlossen werden können. Fühlen sich die Spieler*innen etwa einsam in den verlassenen Wäldern des Shoshone National Forests oder empfinden sie während des Spielens Ärger angesichts bestimmter Ereignisse in der Handlung, können diese Empfindungen auf die Hauptfigur übertragen, im Verhältnis zur narrativen Gestaltung kontextualisiert und so Rückschlüsse auf die Figurengestaltung gezogen werden. So beklemmend, wie es sich etwa für die Spieler*innen anfühlen muss, als sie nach und nach herausfinden, bei ihren Gesprächen mit Delilah offenbar von einer unbekannten Person abgehört zu werden, fühlt es sich entsprechend auch für Henry selbst an, in dessen Rolle sie sich befinden. Nicht zuletzt äußert sich das Figurenverstehen der Spieler*innen auch darin, welche Dialogoptionen sie in den zahlreichen Gesprächssituationen per Funkgerät auswählen. Verschweigt Henry seiner Vorgesetzten seine Ehe? Erzählt er ihr von der Krankheit seiner Frau? Und kann er ihr wirklich vertrauen, mit den mysteriösen Ereignissen im Wald nichts zu tun zu haben? Diese und weitere Entscheidungen liegen in der Hand der Spieler*innen, die entsprechend bei jeder Dialogauswahl und bei ihren Interaktionen mit der virtuellen Umgebung zum Ausdruck bringen, wie sie die Figur Henry verstehen und welche Verhaltensweisen sie für plausibel befinden, indem sie seine Perspektive einnehmen.
Schließlich bietet Firewatch auch Anknüpfungspunkte für den Ethikunterricht. Im Kern der Geschichte und der vielschichtigen Dialoge zwischen Henry und Delilah steht die Frage, wie Henry mit der Alzheimer-Erkrankung seiner Frau Julia im Alter von nur 41 Jahren umgehen kann und will. Es wird deutlich, dass er die einsame Tätigkeit fernab seines gewohnten persönlichen Umfelds aufgrund seiner Überforderung mit der Situation und inneren Konflikten antritt. Indem eine Grundthematik des Spiels Henrys Sorge darstellt, von Julia früher oder später nicht mehr wiedererkannt zu werden, werden Folgen und moralische Dilemmata im Zusammenhang mit der Krankheit durch das Spiel greifbar gemacht und können gemeinsam diskutiert werden. Henry hadert spürbar damit, wie er mit den fortschreitenden Symptomen der Krankheit seiner Frau umgehen kann und es wird deutlich, dass er in der einsamen Arbeit und später auch im Kontakt zu Delilah einen Ausweg aus seiner schwierigen familiären Lage zu suchen scheint. Spieler*innen können dabei etwa selbst entscheiden, ob Henry auf vermeintliche Flirtversuche Delilahs eingeht oder diese konsequent ausweicht. Im Ethikunterricht können Henrys Verhalten und seine in den Dialogen geäußerten Gedanken bezüglich der familiären Problematik reflektiert, evaluiert und Handlungsalternativen erarbeitet werden.