Playing Kafka
- Publisher: Charles Games
- Veröffentlichungsjahr: 2024
- Plattform: Windows, MacOS, Android, iOS
- Geeignet für: Ab Klasse 10
- Fachbezug: Deutsch, Literaturunterricht
„Jemand musste Josef K. verleumdet haben, denn ohne daß er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet.“
Mit diesen berühmten Worten beginnt nicht nur Kafkas berühmtes Werk Der Proceß, sondern auch das serious game Playing Kafka, das die Spieler*innen tief in die surrealen und rätselhaften Welten des berühmten Schriftstellers Franz Kafka eintauchen lässt. In drei Kapiteln, inspiriert von den Erzählungen Der Proceß, Brief an den Vater und Das Schloß¹, erleben sie zentrale Motive und Figuren aus Kafkas Werk hautnah – und beeinflussen durch ihre Entscheidungen den Verlauf der Geschichten.
Playing Kafka vereint Dialogoptionen, kleine Rätsel und scheinbar wichtige Entscheidungen, die die Spieler*innen in Kafkas Werke eintauchen lassen. Dabei stellen sich grundlegende Fragen: Gibt es überhaupt einen Weg, aus dem schier undurchschaubaren Prozess herauszukommen? Lässt sich der einschüchternde Schatten des Vaters überwinden? Und ist das Schloss wirklich erreichbar – oder entpuppt es sich als unerreichbare Illusion?
In Der Proceß schlüpfen die Spieler*innen in die Rolle von Josef K., der ohne Angabe von Gründen plötzlich verhaftet wird. Gefangen in einem undurchschaubaren System aus rätselhaften Regeln und anonymen Mächten, navigieren sie Dialoge, treffen Entscheidungen und versuchen, Josef K.s Verteidigung zu gestalten – stets auf der Suche nach Antworten in einer Welt, die keine zu geben scheint.
Im Abschnitt rund um den Brief an den Vater rekonstruieren die Spieler*innen Fragmente aus Kafkas berühmtem Brief, indem sie einzelne Worte und Satzteile in eine richtige Reihenfolge bringen. Dabei erfahren sie mehr über das schwierige Verhältnis zu seinem ihm übermächtig erscheinenden Vater und erleben ausgewählte Szenen in kurzen, spielerischen Abschnitten.
Das Kapitel Das Schloß versetzt die Spieler*innen in die Rolle der Figur K., die auf ihrer endlosen Reise versucht, ein mysteriöses Schloss zu erreichen. Jeder gewählte Weg und jede Begegnung führt jedoch in neue Sackgassen – das Schloss bleibt stets unerreichbar und die Suche an sich wird zur zentralen Erfahrung der Geschichte.
¹ Titelschreibweise aus dem Spiel übernommen
Playing Kafka eröffnet Lernenden ab der zehnten Klasse die Möglichkeit, Franz Kafkas Werke im Deutsch- und Englischunterricht interaktiv zu erschließen. Im Rahmen der knapp 20-minütigen Kapitel können Kafkas bestimmende Themen und literarische Techniken anhand der darin adaptierten Werke Der Prozeß, Brief an den Vater und Das Schloß auf spielerische Weise erkundet werden. Die jeweils kurzen und in sich geschlossenen Kapitel eignen sich sowohl als Einführung in Kafkas Werke als auch als intermediale Vertiefung oder Begleitung zur Textlektüre.
In Einheiten des Literaturunterrichts zu einem oder mehreren der adaptierten Werke Kafkas kann das Spiel herangezogen werden, um vergleichend und adaptionskritisch die Auseinandersetzung mit ihrem Inhalt zu vertiefen. Gemeinsam können die Schüler*innen untersuchen, welche Elemente der Originaltexte übernommen, verändert oder neu interpretiert wurden – und wie diese Änderungen die Struktur und Wirkung der jeweiligen Geschichte beeinflussen. So wird etwa im Kapitel Das Schloß Kafkas fragmentarischer Stil durch das ergebnisoffene Ende aufgegriffen und kann im Unterricht fokussiert werden. Kafka selbst erscheint darin als Figur und fordert die Spielenden auf, ein ihrer Meinung nach passendes Ende für sein unvollendetes Werk auszuwählen. Zur Wahl stehen verschiedene Szenarien wie der Tod von K., ein möglicher Weg ins Schloss, ein Leben mit Olga, die Flucht aus dem Dorf mit Frieda oder ein gänzlich offenbleibendes Ende. Im Unterricht können die Schüler*innen diese Optionen analysieren und diskutieren, welche Argumente für oder gegen die einzelnen Enden sprechen. Wie verändert jede der möglichen Entscheidungen die Deutungshorizonte der Erzählung? Erscheint eine Flucht aus dem Dorf angesichts der in dem Kapitel dargestellten Machtstrukturen realistisch, oder würde K. dafür – wie auch für den Zugang zum Schloss – eine Genehmigung benötigen? Ist ein offenes Ende möglicherweise die einzig stimmige Wahl, um Kafkas Stil und Themenwelt gerecht zu werden?
Darüber hinaus illustrieren die Kapitel Der Prozeß und Das Schloß eindrücklich kafkaeske Themen wie Hilflosigkeit, Ausweglosigkeit und Machtlosigkeit. Gemeinsam kann davon ausgehend analysiert werden, durch welche gestalterischen Entscheidungen diese Aspekte in der geschriebenen und wie in der interaktiven Geschichte vermittelt werden. Im Kapitel Der Prozeß wird diese Thematik z. B. durch die Raumgestaltung und die Bewegungsmöglichkeiten der gesteuerten Figur verdeutlicht: Josef K. wird mit begrenztem Handlungsspielraum wie eine Marionette geführt und das Ende – sein Tod – bleibt unveränderlich, unabhängig von den Entscheidungen der Spieler*innen. So können sie etwa auswählen, ob Josef K. sich beim Prozess durch den Advocaten Huld vertreten lassen, oder stattdessen lieber die Hilfe seiner Bediensteten Leni in Anspruch nehmen möchte; das Ende der Geschichte bleibt jedoch ungeachtet dessen ausweglos.
Ähnlich wird im Kapitel Das Schloß schnell klar, dass es der Spielfigur K. unmöglich ist, sich dem in der Ferne sichtbaren Schloss tatsächlich zu nähern. Dialogoptionen und vermeintliche Handlungsmöglichkeiten erzeugen zwar die Illusion von Kontrolle, doch die Spielenden müssen letztendlich erkennen, dass sie machtlos sind: Egal welche Wege sie einschlagen oder wessen Hilfe sie erbitten, das Schloss bleibt in unerreichbarer Ferne. Diese erfahrbare Machtlosigkeit kann im Unterricht als Diskussionsgrundlage dienen: Welche Handlungsoptionen hatten die Figuren? Gab es einen möglichen Ausweg aus dem Prozess, oder war das Schicksal von Josef K. von Anfang an besiegelt?
Wie in Kafkas literarischen Vorlagen bleibt auch im Spiel vieles bewusst unbestimmt, was eine hervorragende Grundlage bietet, um die literarische Kompetenz der Sinndeutung zu fördern. So werden in der Adaption von Der Prozeß zentrale Fragen nicht beantwortet: Warum ist Josef K. überhaupt angeklagt? Vor was für einem Gericht steht er? Und warum wird ihm die Anklageschrift vorenthalten? Diese Leerstellen laden dazu ein, im Literaturunterricht gemeinsam Deutungshypothesen zu entwickeln. So können die Schüler*innen beispielsweise diskutieren, welche symbolische Bedeutung das Gericht haben könnte – etwa als Sinnbild für eine unsichtbare Machtstruktur oder eine existenzielle Schuld. Ebenso kann analysiert werden, welche narrative Funktion die fehlende Anklageschrift erfüllt und wie die Aussage, Josef K. habe keinen Zugang zum Gesetz, interpretiert werden kann. Zusätzlich bietet Der Proceß die Möglichkeit, Parallelen zur Lebenswelt der Schüler*innen zu ziehen. Welche Erfahrungen von Unklarheit, Machtlosigkeit oder bürokratischer Willkür kennen sie etwa aus ihrem Alltag oder aus aktuellen gesellschaftlichen Kontexten, die sich mit Josef K.s Situation vergleichen lassen?
Das Kapitel Brief an den Vater richtet den Fokus auf die Beziehung zwischen Kafka und seinem Vater und eignet sich hervorragend für den Aufbau und Ausbau des Figurenverstehens. Die Spielenden setzen Satzfragmente aus Kafkas nie abgeschicktem Brief an seinen Vater zusammen und erleben interaktiv zentrale Szenen aus Kafkas Leben, die das schwierige Verhältnis zwischen Vater und Sohn verdeutlichen. Im Unterricht können davon ausgehend sowohl die Figuren Kafkas und seines Vaters als auch ihre Beziehung analysiert werden. Welche Wünsche äußern die Figuren? Welche Konflikte und Machtverhältnisse prägen das Verhältnis zwischen ihnen? Und welche Dynamik von Macht, Autorität und Selbstreflexion spiegelt sich im Schreiben Kafkas wider? Darüber hinaus bietet das Kapitel Anlass zur Diskussion über die Verknüpfung von Biografie und Literatur. Mit den Schüler*innen kann erarbeitet werden, inwiefern der Brief biografische Bezüge hat und wo möglicherweise literarische Fiktion einsetzt. Welche Elemente können auf tatsächlichen Erlebnissen beruhen? Und was könnte Kafka vielmehr als künstlerisches Stilmittel hinzugefügt haben?
Anmerkung: Auf der offiziellen Spielhomepage steht eine kostenlose Handreichung für den Einsatz im Unterricht zum Download zur Verfügung, in der für jedes Kapitel eine exemplarische Doppelstunde vorgestellt wird.
Link: https://www.goethe.de/prj/dlp/de/unterrichtsmaterial/playing_kafka