- Entwicklerstudio: kaleidoscube
- Veröffentlichungsjahr: 2021
- Plattform: Windows, Nintendo Switch, PlayStation, Xbox
- Altersfreigabe: USK 6
- Geeignet für: Ab Klasse 7
- Fachbezug: Deutsch, Literaturunterricht
„Abby, Abby… Don’t you see, the threads holding you up – also hold you back.“
In einem gemütlichen Gasthaus, bei einem warmen Feuer und lustiger Wirtshausmusik, bekommen wir die Geschichte der jungen Zirkusartistin Abby erzählt. Dabei handelt es sich bei Abby nicht einfach um ein gewöhnliches Mädchen – sie ist Artistin und noch viel wichtiger: Sie ist eine Marionette. Ihre Fäden in der Hand leitet der stets reimende Erzähler sie durch seine mittelalterliche Märchenwelt und glaubt dabei, auch Herr über ihr Schicksal zu sein. Das nach Freiheit strebende Mädchen sieht dies aber ein wenig anders und befreit sich zuerst aus dem Zirkus und bald darauf auch aus den Händen des Marionettenspielers. Auf der Flucht muss sie sich vielen Gefahren stellen, die ihr von diesem in den Weg gelegt werden und so kämpft sie sich durch brennende Wälder, orkanartige Stürme und Räuberbanden. Aber kann Abby wirklich den Händen ihres Schöpfers entfliehen?
A Juggler’s Tale gleicht schon fast einem Paradebeispiel für die Übertragung von Elementen klassischer Literatur in den Kontext eines Computerspiels, weshalb es sich auch wunderbar als multimediale Ergänzung für den Literaturunterricht der Sekundarstufe I eignet. Die Märchengeschichte wird, über etwa zwei Stunden Spielzeit hinweg, in einer klassischen 5-Akt-Struktur erzählt und bedient sich dabei einem allwissenden Erzähler, dessen Anwesenheit den Verlauf der Geschichte prägen wird. Nach der traditionellen Einführung und Verschärfung der Geschichte in den ersten zwei Akten, findet auch A Juggler’s Tale seinen Spannungshöhepunkt am Ende des dritten Akts: Mit dem wortwörtlichen Lösen ihrer Fesseln nimmt Abby dem bis dahin auktorialen Erzähler die Kontrolle über ihre Handlungen und somit auch über den Verlauf der Geschichte ab. Dies spiegelt sich direkt zu Beginn von Akt 4 in einer Hilfslosigkeit auf Seiten des Erzählers wider, wie er denn nun seine Geschichte weitererzählt, jetzt wo er die Handlungen der Akteure nicht mehr vorherbestimmen kann. In der Auflösung im letzten Akt des Spiels fällt die Stimme des Erzählers schließlich ganz weg, wodurch die endgültige Freiheit Abbys, nicht nur von ihren Fäden, sondern nun auch von der Macht ihres Schöpfers, dargestellt wird. Die Macht, die ein Erzähler über seine Geschichte hat, wird an dieser Stelle noch einmal besonders deutlich betont, da bisher feindliche Charaktere, wie zum Beispiel der Zirkusdirektor, sich nun in der Abwesenheit des Erzählers hilfsbereit und freundlich gegenüber Abby verhalten. Somit wird der typische Dramenaufbau klassischer Literatur also nicht einfach übernommen, sondern abgewandelt und modernisiert. Wir haben nicht länger die Geschichte von dem machtlosen Mädchen, das sich seiner Bestimmung beugen muss, sondern die einer selbstbestimmten jungen Frau, die ihr Schicksal selbst in die Hand nimmt und A Juggler’s Tale somit einen guten Gegenstand im Vergleich zu klassischen Werken bieten kann. Die Reflexion über die Rolle von Erzähler und Erzählinstanz in narrativen Zusammenhängen stellt daher einen der zentralen Ansatzpunkte für die Einbettung von A Juggler’s Tale im Unterricht dar.
Darüber hinaus finden sich von der Reimstruktur des Erzählers, über Fabelwesen, wie Riesenspinnen, bis hin zu helfenden Tierfreunden zahlreiche Märchenmerkmale in der Geschichte wieder. Eine Besonderheit liegt dabei vor allem in dem Antagonisten, welcher zunächst vielleicht im Anführer der Räuberbande vermutet werden kann, sich letztlich aber im Erzähler selbst versteckt. Dadurch erhält das Märchen seinen ganz eigenen Charakter und bietet Kommunikationsanlässe, wie sich eine solche Entscheidung, sowohl auf den Verlauf einer Geschichte als auch die Art und Weise wie sie erzählt wird, auswirkt.
Für einen möglichen multimedialen Einsatz sei außerdem erwähnt, dass es eine Bilderbuchadaption unter dem Namen Abbys Traum gibt. Auch wenn sich diese alleinstehend eher an jüngere Kinder richtet, bietet sie einen spannenden Vergleich zwischen verschiedenen medialen Formen und stellt dabei eine der ersten Bilderbuchadaptionen auf Basis eines Videospiels dar.