Another Fisherman's Tale
- Publisher: Innerspace VR
- Veröffentlichungsjahr: 2023
- Plattform: Meta Quest 2, PS VR 2, Steam VR
- Altersfreigabe: USK 12
- Geeignet für: Klasse 7-9
- Fachbezug: Ethik, Deutsch, Englisch
Bob hat schon viele Abenteuer erlebt: Einst war er ein Fischer, dann ein Leuchtturmwärter, und selbstverständlich war er auch Pira… ähm, Seefahrer. Seit er die Weltmeere durchkreuzt hat, tut er nichts lieber, als seiner kleinen Tochter Nina seine besten Geschichten zu erzählen. Allen voran die von der großen Suche nach Libertalia, der Insel der Freiheit. Aber der Reihe nach: Zunächst muss Bob nach einem Schiffbruch seine vereinzelten Körperteile wieder zusammensetzen. Zum Glück ist das kein Problem, denn Bob ist eine Holzpuppe.
Nach A Fisherman’s Tale versetzt der zweite Teil seine Spieler*innen in ein neues VR-Abenteuer, das zwar an die Ereignisse des ersten anschließt, aber auch ohne Vorkenntnisse gespielt werden kann, denn: Ninas Vater Bob – der echte, nicht die Holzpuppe – ist nicht mehr da. Stattdessen ist es die inzwischen erwachsene Nina, die, begleitet von den Spieler*innen, im Keller ihrer Familie mit der Puppe ihres Vaters spielt. Die hat Bob damals selbst gebaut, so wie die Modelle von Stränden, Piratenschiffen und einem Seemonster, die zum Schauplatz seiner und ihrer Abenteuer werden. Auf Wunsch ihrer alten Mutter, deren Gedächtnis langsam schwindet, soll Nina die Modelle ihres Vaters verpacken. Doch immer wieder taucht Nina in Bobs Geschichten ein – auch, um mehr über sich selbst zu erfahren. Dabei lernt sie Dinge über ihren Vater, die ihn plötzlich nicht mehr als heldenhaften Abenteurer dastehen lassen. Manches hat er ihr nie verraten: Wie haben sich Ninas Eltern kennengelernt und was hat Piratenkapitänin Kenred damit zu tun? Wieso wollte er nach Libertalia, das sich gar nicht als Erfüllung aller Träume entpuppt? Stimmt überhaupt etwas von dem, was er ihr erzählt hat – oder ist es nur Seemannsgarn?
Das herauszufinden erfordert vollen Körpereinsatz: Um Rätsel zu lösen, müssen Holzhände abgeschraubt und gegen Enterhaken und Krebsscheren getauscht werden. So können Klippen erklettert und Seile durchtrennt werden. Mechanische Hände helfen sogar dabei, gigantische Kräne synchron zu den eigenen Bewegungen zu steuern. Und warum nicht den Holzkopf hoch in ein Vogelnest schießen, um einen besseren Überblick zu erhalten? Der Körper kann sich problemlos ohne ihn bewegen. Auch die Elemente wollen bezwungen werden, denn mal bewegt sich Bob an Land, dann unter Wasser schwimmend mit Fischschwanz.
So lüftet Nina nach und nach die Geheimnisse um ihren Vater – und sich selbst. Nach all den Abenteuer erkennt sie schließlich: Es ist Zeit, ihre eigene Geschichte zu schreiben.
Another Fisherman’s Tale befasst sich mit einer Vielzahl relevanter Fragen rund um das Thema Identität – nur ein Grund, warum es besonderes Potenzial für den Ethik-, aber auch ab Klasse 7 bietet. Eine besondere Rolle spielt dabei das Gedankenexperiment von Theseus‘ Schiff, das die gesamte Erzählung durchzieht:
„Wenn bei einem Boot alle Planken ersetzt wurden, ist es dann immer noch dasselbe Boot?“, fragt Bob seine Tochter, als er ihr vom Schiffbruch seiner geliebten Le Téméraire erzählt. „Was sagt das Boot dazu?“, erwidert die kleine Nina. Viele Jahre später überlegt sie als Erwachsene: „Vielleicht kann das das Boot entscheiden. Vielleicht können es auch die, die mit dir gesegelt sind.“
In den Erzählungen ihres Vaters sucht die erwachsene Nina nach sich selbst. Es liegt an ihr, ihre Geschichte zu rekonstruieren, um den Geheimnissen ihrer Entstehung auf die Spur zu kommen – auch, weil ihr Vater ihr nicht immer alles erzählt hat.
Im Ethik- und Literaturunterricht lassen sich Ninas Überlegungen mit den Schüler*innen reflektieren: Wie stark prägen ihre Eltern ihre eigene Identität? Zum Erwachsenwerden gehört auch, das Verhältnis zu ihnen auf Augenhöhe neu auszurichten – sie zu entzaubern und ihnen vielleicht verzeihen zu müssen. Während kleine Kinder ihre Eltern oft idealisieren, stellen größere mit der Zeit manchmal fest, dass auch sie Fehler begehen. So lernt Nina, dass Bob die Wahrheit verdreht hat: Während der Schwangerschaft ihrer Mutter war er nicht der Vater, der er hätte sein sollen. Dabei spielt Another Fisherman’s Tale mitunter auf die im ersten Teil angedeutete komplexe, fast toxische Beziehung von Bob zu dessen Vater an.
Dabei lädt auch die hohe narrative Qualität der Erzählung zur Auseinandersetzung im Literaturunterricht ein – insbesondere in Hinblick auf die Bereiche Figuren- und Handlungsverstehen. So lassen sich in höheren Klassenstufen die miteinander verwobenen Handlungsebenen analysieren: Auf intradiegetischer Ebene steuern die Spieler*innen den hölzernen Seemann Bob, der abenteuerlustig durch das Geschehen stolpert und Puzzles mithilfe seiner abnehmbaren Körperteile löst. Doch auf Ebene der Rahmenhandlung steuern Spieler*innen die erwachsene Nina, die mit der Holzfigur Bob spielt. Fragen drängen sich auf: Wer erzählt gerade? Ist es Bob – oder Ninas Vorstellung von Bob in ihrer Erinnerung? Und wer spielt gerade? Nina, Bob, oder doch die Spieler*innen selbst, die die Zusammenhänge zwischen den Geschichten konstruieren müssen?
Zudem kann auch der hohe Symbolgehalt der Geschichte mit den Schüler*innen entdeckt werden: Bob trickst seine Rivalin – und Ninas Mutter –, Piratenkapitänin Kenred, aus, stiehlt ein mysteriös leuchtendes Ei aus ihrer Kajüte, zerbricht dieses aus Versehen in zwei Hälften und macht sich dann auf nach Libertalia. Währenddessen muss Kenred allein gegen ein Seeungeheuer kämpfen, das durch die Zerstörung des Eis gerufen wurde. Die Bedeutung des Eis als Beginn des neuen Lebens und die Herausforderung junger Eltern im Kampf mit dem „Kraken” können gemeinsam reflektiert werden. Besonders in höheren Klassenstufen erscheint diese Auseinandersetzung vielversprechend.
Bobs exzentrisches Hobby, Modelle für seine Abenteuer zu bauen, liefert dafür die Schauplätze. Auch sie können mit den Schüler*innen erkundet und zur Ausprägung literarischer Verstehensprozesse herangezogen werden: Welche Elemente braucht ein literarischer Ort, damit wir ihn als stimmig empfinden? Noch dazu fallen die unterschiedlichen Erzählebenen zusammen, sodass sich Potenzial bietet, sie gemeinsam zu untersuchen. So lässt sich auf hoher See am Horizont die riesige Kellerwand ausmachen, und unter Wasser taucht plötzlich ein großer Propeller zur Belüftung des Aquariums auf, in dem Nina spielt. Dabei lohnt auch der Verweis auf das Genre der Seefahrer- und Piratengeschichte mit seinem Hang zur Übertreibung und Ausschmückung, das auf Schüler*innen besonders motivierend wirken kann. Vor allem kann aber auch der Wert des Erzählens reflektiert werden: Warum hören wir gern Geschichten? Oder in Hinblick auf das Fiktionsverstehen: Was ist in ihnen möglich?
Another Fisherman’s Tale bietet großes Potenzial zur Einbettung in handlungs- und produktionsorientierte Lernarrangements. Beispielsweise lassen sich Tagebucheinträge aus Sicht der verschiedenen Figuren anfertigen. Sie können Schüler*innen zum Perspektivwechsel und Entwickeln von Hypothesen anregen: Was hat Bob wirklich erlebt – und warum erzählt er Nina Geschichten? Was denkt Nina über ihren Vater als Erwachsene? Wie stellt sich das Erlebte aus Sicht der Mutter dar? Besonders vielversprechend erscheint auch die Übertragung auf die eigene Lebenswelt. So könnten Schüler*innen wichtige Momente ihres eigenen Lebens in Form einer fantastischen (Seefahrer-)geschichte festhalten oder in Schuhkartons Modelle bauen, die solche Momente zeigen.
Derzeit ist nur die englische Sprachausgabe verfügbar (Stand Mai 2024), allerdings können deutsche Untertitel eingeblendet werden. Viele weitere Sprachen werden durch Untertitel unterstützt, darunter Französisch, Spanisch und Italienisch, sodass eine niedrigschwellige Auseinandersetzung mit dem Inhalt der Anwendung möglich wird.