My Child Lebensborn
- Publisher: Sarepta Studios
- Veröffentlichungsjahr: 2018
- Plattform: Android, Switch, iOS, Xbox, PlayStation, Windows
- Altersfreigabe: USK 12
- Geeignet für: Ab Klasse 9
- Fachbezug: Geschichte
Der Krieg ist vorbei… aber seine Gräuel noch lange nicht. In My Child: Lebensborn schlüpfen Spielende in die Rolle eines alleinerziehenden Elternteils, das im Norwegen der Nachkriegszeit ein Kind adoptiert. Das Kind trägt den Namen Karl oder Karin – die Spielenden können sich zwischen einem Jungen und einem Mädchen entscheiden – und bestimmt fortan den Alltag der Spieler*innen, denn es benötigt natürlich neben ausreichend Schlaf und regelmäßigen Mahlzeiten auch Aufmerksamkeit, Spielzeit, geflickte Kleidung und Schulutensilien. Was als harmlose Erziehungssimulation beginnt, wandelt sich jedoch rasch, sobald das adoptierte Kind in die Schule kommt… und dort angesichts seiner Herkunft aus dem Lebensbornprojekt der SS gemobbt, ausgegrenzt und missbraucht wird.
Während es den Spielenden zu Beginn durch klug gewählte Gesprächsoptionen noch gelingt, Karl oder eben Karin aufzumuntern, durchdringen die Schulerfahrungen alsbald das komplette Leben der Kleinfamilie und stellen die Spielenden vor schwere Entscheidungen. Denn wie kann es gelingen, eine Kinderseele zu heilen, die eigentlich alles verloren hat?
My Child: Lebensborn eignet sich angesichts seiner Thematik insbesondere für den Einsatz im Geschichtsunterricht der Sekundarstufe I, vor allem während einer umfangreichen Unterrichtseinheit zu den Auswirkungen des Nationalsozialismus oder des Zweiten Weltkriegs, da das Spiel die selbstkreierte Geschichte um die Spielenden und ihr Adoptivkind mit realen geschichtlichen Ereignissen kombiniert.
Das adoptierte Kind Karl oder Karin stammt aus dem Lebensbornprojekt, das während des Zweiten Weltkriegs durch die SS ins Leben gerufen wurde. Ziel des Lebensbornprojekts war es – stark verkürzt zusammengefasst – die „nordische“ Rasse zu stärken. Einerseits wurden unzählige Kinder, die die entsprechenden phänotypischen Merkmale aufwiesen, aus von deutschen Truppen besetzten Gebieten entführt und in sogenannte Lebensborn-Heime gebracht ; andererseits sollten entsprechende Kinder dort direkt „gezüchtet“ werden. In beiden Fällen sollten die Kinder in regimetreue Familien übergeben werden, um neben der genetischen Passung auch eine ideologische Erziehung zu gewährleisten. Nach der Befreiung Deutschlands durch die Alliierten wurden viele der Kinder wieder in ihre Heimatregionen oder Familien zurückgebracht, andere fanden bei anderen Familien ein neues Zuhause.
Karl oder eben Karin stellen die fiktionale Charakterisierung dieser Kinder dar und ebenso wie ihre Herkunft wird im Spiel auch der Umgang mit ihnen porträtiert, denn: Zahlreiche Lebensborn-Kinder wurden nach dem Zweiten Weltkrieg angesichts ihrer Herkunft aus den Lebensborn-Heimen ausgegrenzt und misshandelt.
Das Spiel nutzt dabei unterschiedliche Gestaltungstechniken, um diese historischen Zusammenhänge abzubilden. Zum einen kennt das Adoptivkind die eigenen Eltern nicht. Im Laufe des Spiels kommen jedoch vermehrt Fragen auf, die das Adoptivelternteil beantworten soll, weshalb die Spielenden in der Rolle des erziehungsberechtigten Erwachsenen versuchen, mehr über die leiblichen Eltern von Karl oder Karin herauszufinden. Hierzu schreiben sie abends Briefe an die Eltern oder Menschen, die mehr über die Herkunft des Kindes wissen. Zumeist kommen nur spärliche Informationen zurück, die jedoch – gespickt durch geschichtliche Querbezüge – einen Eindruck von der damaligen Zeit vermitteln. Einen zusätzlichen Einblick in diese Zeit erhalten die Spielenden durch tägliche Zeitungsberichte, die das Nachkriegsleben in den ehemals von Deutschen besetzten Gebieten nachzeichnen – im Spiel exemplarisch Norwegen.
Zum anderen bauen die Spielenden während des Umgangs mit Karl oder Karin eine Verbindung zu ihm*r auf und kommen ins Gespräch. Anfangs teilt das Adoptivkind noch recht offen seine Wünsche, Sorgen und Ängste mit, mit zunehmenden Ausgrenzungserfahrungen nimmt seine Verschlossenheit jedoch zu, sodass die Spielenden den oder die Kleine*n kaum noch trösten können. Im Sinne erfahrungsbasierten Lernens können die Spielenden so leichter die Perspektive damaliger Familien nachvollziehen und die emotionalen Konsequenzen „nachfühlen“. Im Gegensatz zum im Geschichtsunterricht ansonsten gängigen Einsatz von Originalquellen zur Herstellung von Perspektivübernahme und emotionaler Involviertheit setzt das Spiel damit direkt auf die Erfahrungen der Spielenden und spiegelt ihnen die Hilflosigkeit der Familien, die sich damals von Hass und gesellschaftlichem Exil bedroht sahen.
Verstärkt wird dieser Effekt durch die Gesprächsoptionen, die den Spielenden in der Interaktion mit dem Adoptivkind zur Verfügung stehen. Der Austausch mit Karl oder Karin erfolgt ausschließlich dialogbasiert, die Spielenden entscheiden jedoch, welche Antworten dem Kind gegeben werden sollen. Diese haben Auswirkungen auf Karl oder Karin, sodass sich deren Herz entweder erwärmt oder aber verhärtet, was wiederum Einfluss auf den Ausgang der Geschichte hat. So ist es möglich, dass Karl oder Karin verstört, aber dennoch offen von den Erlebnissen in der Schule berichtet, oder aber so verängstigt ist, dass er oder sie u.a. zu dem Missbrauch durch eine der Lehrkräfte kein Wort verliert. Am Ende jedes Kapitels können die Spielenden verfolgen, welche Auswirkungen ihre Wahl auf das Kind und ihre Beziehung zu diesem hatte und Schlussfolgerungen hinsichtlich ihres weiteren Umgangs ziehen. Außerdem werden die Spielerlebnisse historisch eingeordnet.
Angereichert wird das Spiel durch ergänzende Kommentare von realen Lebensborn-Kindern, die heute längst gealterte Erwachsene sind. Diese berichten in kurzen Videoclips von ihrem Leben und wie sie die Nachkriegszeit als Lebensborn-Kinder erlebt haben. Einige der Erzählungen finden eine Eins-zu-Eins-Entsprechung im Spiel, sodass über die Verbindung von realweltlich historischen Ereignissen und fiktivem Spielgeschehen im Unterricht gesprochen und deren Auswirkungen reflektiert werden können.