Sibel's Journey
- Publisher: Food for Thought
- Veröffentlichungsjahr: 2022
- Plattform: Windows, MacOS, Android, iOS
- Altersfreigabe: USK 6
- Geeignet für: Klasse 7-8
- Fachbezug: Ethik, Gemeinschaftskunde
Was bedeutet trans*? Was ist Intergeschlechtlichkeit? Und wofür steht eigentlich die Buchstabenfolge „LGBTQIA+“? Diese und viele weitere Fragen beschäftigen die dreizehnjährige Sibel, als sie ihre Tante Meral und ihre beste Freundin Sarah überraschend für ein Wochenende in Berlin besucht. Während sie nach Sarah sucht, begegnen ihr im Gewimmel der Hauptstadt Menschen mit den verschiedensten Identitäten und Lebensentwürfen, die sie mit ihren Fragen löchern kann, wobei gleichzeitig das „Pride“-Festival gefeiert wird. Neben Tante Meral, für die Lesbisch- und Türkischsein wunderbar zusammenpassen, gibt es da zum Beispiel auch ihren Freund Knut, der seinerseits davon erzählen kann, wie es sich anfühlt, als dicker Mensch in einer Gesellschaft mit schlankem Schönheitsideal zu leben. Die Spieler*innen verfolgen Sibels‘ Journey, indem sie per Point-and-Click-Steuerung Gespräche mit Figuren initiieren, Nachrichten auf Sibels Smartphone lesen, fantasievolle Minispiele lösen oder Notizen zu Themen wie Sexualität und Körperbildern sammeln. In Zuordnungsspielen können sie beispielsweise Verhütungsmethoden oder die Bedeutung von gängigen Begriffen der queeren Szene kennenlernen. Im Minispiel „Gender-Unicorn“ stellen sich zudem alle Figuren in Steckbriefen anhand ihrer Geschlechtsidentität, ihrer Sexualität und ihres geschlechtlichen Ausdrucks vor – also dahingehend, ob sie sich in der Öffentlichkeit eher als „männlich“, „weiblich“ oder „andere“ präsentieren. Mithilfe von Pfeilen, auf denen sich Regler verschieben lassen, können die Spieler*innen dies auch für sich selbst einstellen. Können die Spielenden Sibel dabei helfen, ihre vielen Fragen zu klären? Und was ist das für ein großes Geheimnis, von dem Sarah Sibel persönlich erzählen will? Anmerkung: Die Kategorie “andere” wird durch das Spiel anstelle der Bezeichnung “divers” gewählt. |
Aufgrund der Vermittlung vielseitiger Informationen zu den Themen Sexualität, Identität und Körperbilder eignet sich Sibel’s Journey besonders für einen Einsatz im Ethik- und Gemeinschaftskundeunterricht ab Klasse 7. Mit einer Spielzeit von etwa 90 Minuten lassen sich die Inhalte ideal in einer Kurzreihe verhandeln.
Für das Fach Ethik bieten die im Spiel dargestellten heterogenen Lebensentwürfe Potenzial, um Fragen zu den Themen Individualität und Selbstbestimmung zu erforschen. Insbesondere die spielinterne App „Gender-Unicorn“ auf Sibels Smartphone kann zum Anlass werden, um Bewusstheit über die Vielseitigkeit geschlechtlicher und sexueller Identitäten zu fördern. So wird anhand von Steckbriefen Wissen über die drei Kategorien Geschlechtsidentität, Sexualität und geschlechtlicher Ausdruck vermittelt. Zur Veranschaulichung dieser Konzepte stellen verschiedene Figuren die auf sie zutreffenden Regler der Kategorien auf einem Spektrum für sich ein. So zeigt beispielsweise Sarahs Freundin Leila, dass es durchaus möglich ist, sich als Frau zu identifizieren, aber nach außen auch männlich konnotierte Attribute zeigen zu wollen – zum Beispiel durch Kleidung, Hobbies oder Körperhaltung – und dass all das nichts darüber aussagen muss, zu welchem Geschlecht man sich hingezogen fühlt.
Die Möglichkeit, die Regler der drei Kategorien für sich selbst zu verschieben, lädt Schüler*innen dabei auch zur individuellen Reflexion über ihre eigene Verortung und Selbstpräsentation ein. Auf eine stille Bearbeitungsphase können sich Transferfragen für eine gemeinsame Diskussion anschließen. Zum Beispiel hinsichtlich des geschlechtlichen Ausdrucks: Welche Eigenschaften wollen wir über Kleidung ausdrücken – und welche schreiben wir anderen aufgrund ihres Kleidungsstils zu? Ist das Tragen von Röcken oder Nagellack „nur etwas für Mädchen“? Wie stark haben sich die Vorstellungen von angemessenem Verhalten und passender Kleidung verändert, und welche Codes bestehen weiterhin? Lasse ich mich durch andere darin beeinflussen, was ich trage und welche Hobbies ich habe?
Eine weitere Stärke des Spiels liegt in der Möglichkeit, Dialoge mit Figuren zu initiieren, die den Spieler*innen in Berlin begegnen. Die neugierige Sibel stellt ihnen Fragen zu Themen, die im Alltag schwierig oder schambehaftet sein können. Die Spieler*innen erhalten so zum Beispiel Einblicke in die Perspektiven von homosexuellen, körperlich behinderten oder intergeschlechtlichen Menschen. Bestimmte Informationen aus den Gesprächen, wie beispielsweise zu Themen wie Barrierefreiheit oder Safer Sex werden in Kurztexten auf Sibels Telefon gespeichert. Sie können dort von den Schüler*innen erneut nachgelesen und zur Umwälzung genutzt werden, zum Beispiel für Präsentationen auf Plakaten oder in Mindmaps.
Besondere Aufmerksamkeit erfährt auch das Thema Transgeschlechtlichkeit, das ebenso im Ethikunterricht aufgegriffen werden kann: Was bedeutet es, trans* zu sein und zu fühlen, dass das bei Geburt Gender nicht mit dem selbst wahrgenommenen übereinstimmt? Muss sich eine Transperson einer geschlechtsangleichenden Operation unterziehen und Medikamente einnehmen? Wie fühlt sich der Alltag an, wenn fremde Menschen einem womöglich ansehen, dass man trans* ist? Empfehlenswert ist allerdings die Einbettung zusätzlichen Materials, um diesen Fragen in ihrer Komplexität gerecht zu werden. Fächerübergreifend kann dafür auch mit dem Biologieunterricht kooperiert werden. In höheren Klassenstufen kann das Thema Transition dabei auch aus medizinischer und rechtlicher Perspektive beleuchtet werden. Von Seiten der Lehrkraft erfordert dies eine hohe Sensibilität für die Ausgangsbedingungen der Lerngruppe sowie die Bereitschaft, mit den Schüler*innen über Wertvorstellungen und womöglich auch kritische Einstellungen zu diskutieren.
Ebenfalls für den Ethikunterricht relevant werden können die im Spiel verhandelten Fragen nach Konsensualität, also Einvernehmlichkeit in zwischenmenschlichen Begegnungen. So hat Sibel über einen Online-Chat einen Jungen aus Berlin kennengelernt, der sie bei ihrem Besuch gern treffen möchte, fühlt sich von ihm aber zunehmend bedrängt. In einem Minispiel wählen die Spieler*innen mit Unterstützung des „Pride“-Festival-Besuchers Jo hilfreiche Antworten für Gesprächssituationen aus, in denen konsensuelles Verhalten gefragt ist – wie beim ersten Date oder beim Filmgucken mit dem besten Freund. So lassen sich einerseits Bewusstsein und Empathie für die Wahrung der Grenzen von Anderen fördern, andererseits werden den Schüler*innen konkrete Sprechakte vermittelt, die im echten Leben angewandt werden können und so das Selbstvertrauen stärken, die eigenen Grenzen zu artikulieren. Im Unterricht lassen sich auch weitere Szenarien entwickeln, die konsensuelles Verhalten erfordern. Dabei können Schüler*innen passende Sprechakte selbst erarbeiten, die beispielsweise im szenischen Spiel eingeübt werden. Gemeinsam lassen sich daraufhin Möglichkeiten und Grenzen einer eigenen Sprache zum Ausdruck von Zustimmung und Ablehnung ausloten – und es kann auch darüber gesprochen werden, was zu tun ist, wenn ein „Nein“ ignoriert wird.
Für den Gemeinschaftskundeunterricht bietet Sibel’s Journey ebenfalls Anknüpfungspunkte. So lässt sich beispielsweise im Zuge der Auseinandersetzung mit dem Thema Familie und Gesellschaft in Klasse 8 über die Pluralisierung von Lebensentwürfen nachdenken: Welche Formen des Zusammenlebens kennen wir? Welche halten wir für besonders passend für uns selbst – und woran liegt das? Welches Mitbestimmungsrecht hat der Staat hinsichtlich meiner privaten Lebensführung? Mit den Schüler*innen lässt sich daran anknüpfend auch reflektieren, inwiefern Normen gesellschaftlich erwünschten Verhaltens und Zusammenlebens historischem Wandel unterliegen. Hierfür kann insbesondere die veränderte Sichtbarkeit der queeren Bewegung und die Entwicklung der Rechte homosexueller Menschen in Deutschland herangezogen werden – Bezüge bieten sich beispielsweise an von der Abschaffung des Paragraphen 175, der Homosexualität bis in das Jahr 1994 kriminalisierte, bis hin zum Recht auf Eheschließung für Alle im Jahr 2017.